Die Templer und ihr Mythos

Die wahre Geschichte

von Jörg Dendl
[Update: 17. September 2007]


Jacques de Molay (Heidenreich 1794)Zahlreich sind die Mythen, die sich um den Templerorden ranken. Seit dem 18. Jahrhundert bestimmen sie weitgehend das Bild des Ritterordens in der Öffentlichkeit. Darum gelten die Templer als der geheimnisvollste Orden des Mittelalters, als eine Gemeinschaft, die eine dunkle Seite verbarg. Doch entsprechen die vielen Behauptungen auch den historischen Tatsachen?













Dass die Geschichte des Endes des Templerordens auch noch eine Überraschung birgt, zeigt sich bei der auch hier vorgestellten Episode

"Der Schatz des Visitators":

Die Suche nach dem legendären Schatz der Templer erwies sich bisher als erfolglos. Ein Hinweis auf einen tatsächlich verschwundenen Templerschatz findet sich allerdings in der Aussage des dienenden Bruders Jean de Châlons. Ende Juni 1308 wurde er von der päpstlichen Kommission in Poitiers als 46. Zeuge befragt. Er war seinen eigenen Angaben nach zunächst Präzeptor des Templer-Hauses in "Marmot" gewesen, zur Zeit seiner Verhaftung habe er als Präzeptor dem Haus von "Nemoris" (Namur?) vorgestanden. Bei der Vernehmung gab er an, einige der hochrangigen Ordensmitglieder hätten schon vorzeitig von der bevorstehenden Verhaftung erfahren. Zu diesem Kreis gehörte demnach Gérard de Villiers, der Präzeptor von Frankreich. Dieser habe sich mit 50 Pferden auf den Weg gemacht und stach, wie der Zeuge gehört haben wollte, mit 18 Galeeren in See. Weiter sagt Jean de Châlon aus: "... Bruder Hugues de Châlons machte sich mit dem gesamten Schatz des Bruders Hugues de Pairaud auf die Flucht." [Finke, Vol. II, Nr. 155, S. 339]


Aussage des Templers Iohannes de civitate Cathalanensis Ende Juni 1308 Vat. Arch. Reg. Auen. Nr. 48.
Bendicti XII. tom. I. fol. 448-451

Item dixit, quod potentes ordinis prescientes istam confusionem fugiunt et ipse obviavit fratri Girardo de Villariis ducenti quinquaginta equos, et audivit dici, quod intravit mare cum XVIII galeis, et frater Hugo de Cabilone fugiit cum tot thesauro fratris Hugonis de Peraudo. Interrogatus, quomodo potuit tandiu istud factum teneri secretum, respondit, quod nullus pro aliqua re erat ausus revelare, nisi papa et rex aperuissent viam, quia, si sciretur in ordine, quod aliquis loqueretur, statim fuisset mortuus.

Finke, Vol. II, 1907, Nr. 155, S. 339

Unwahrscheinlich ist es nicht, dass die Templer die Pläne des Königs zu ihrer Verhaftung in Erfahrung bringen konnten. Der Brief, mit dem Philipp IV. den Haftbefehl erteilte, war am 14. September 1307 verfaßt worden, einen ganzen Monat vor dem Verhaftungstermin. Schon in der Woche nach dem 1. Oktober erschien Hugues de Pairaud vor dem Papst und äußerte seine Bedenken wegen des Inhalts des königlichen Briefes, und sprach davon, dass er, wenn es möglich wäre, sein eigenes Leben und das seiner Brüder retten wolle. [Schottmüller, Vol. I, S. 128; Michelet, Vol. II, S. 373] Auch warnte der Vorsteher des Temple in Paris alle dort dienenden Brüder vor Aussagen, die dem Orden Schaden zufügen könnten.
Etwa 30 namentlich bekannte Templer nutzten das Wissen um die drohende Verhaftung zur Flucht. Ungefähr die Hälfte von ihnen wurde später aufgegriffen und den Untersuchungskommissionen vorgeführt. Wir wissen von ihrer Flucht durch ihre Aussagen. [Michelet, Vol. I, S. 30.509, Vol. II, S. 1.33.144.147.157.159.241.263.265.266] Eine Liste nennt die Namen von zwölf Flüchtlingen, von denen zwei, Imbert Blanc und Pierre de Bouch, in späteren Protokollen als festgenommen genannt werden. Unter den Genannten finden sich weiterhin Hugues de Châlons und Gérard de Villiers, von dem es hier heißt, er habe "... vierzig Brüder bewaffnet ...". [Finke, II, S. 74 (Nr. 50, I)] Damit steht fest, dass zumindest der Schatz des Visitators Hugues de Pairaud tatsächlich mit unbekanntem Ziel verschwand.


Verzeichnis der geflohenen Templer Ende 1307 Paris, Bibl. Nat., Cod. Lat. 10919, fol. 84v
Ce sunt les noms des freres, qui sen sunt fouy.
Frere Richart de Montcler fiuz a la suer monseigneur Fouque de Rigni et repaire en la marche Dalemaigne et en la conte de Monbeliart.
Item Charembaut de Comflanz reperant avec le dit frere Richart.
Item frere Renaud de la Foillie: tous Borgoignons.
Frere Guillaume de Lins. (?)
Frere Hugue de Chalon.
Frere Hugue Daray.
Frere Baraus comandeur du Pay.
Frere Geraudon fiuz monseigneur Geraut de Chatiaunuef reperant a Grisignau vers la conte de Veneci.
Frere Girart de Villers, qui est armez li XL de freres.
Frere Ymbert Blanc, qui est in Angleterre.
Frere Adam de Wallaincourt.
Frere Pierre de Bouch en la marche Dalemaigne.
Finke, Vol. II, 1907, Nr. 50, I, S. 74

Die Flucht dieser Templer war allem Anschein nach keine Kurzschlußhandlung, sondern Teil eines Plans mit dem Ziel, den französischen König zu ermorden. Eine kurze Notiz in derselben Handschrift, die auch die Liste der Flüchtlinge enthält, spricht von dieser Verschwörung. Es heißt dort:

"Der Bruder Hugues de Châlons, Neffe des Visitators, und Bruder Girardus de Monte Claro, Ritter des Ordens oder Templer-Sekte, beabsichtigten zusammen mit einigen ihrer Komplizen von der derselben Sekte, den König zu töten." [Finke, II, S. 75 (Nr. 50, II)]

Notiz über die geplante Ermordung Philipps IV. Ende 1307 Paris, Bibl. Nat., Cod. Lat. 10919, fol. 236v
Frater Hugo de Cabilone nepos visitatoris et frater Girardus de Monte claro, milites ordinis seu secte Templi, una cum quibusdam suis complicibus secte conceperant occidere regem.
Finke, Vol. II, 1907, Nr. 50, II, S. 75

Diese Notiz ist allerdings der einzige Hinweis auf ein solches Komplott, keine der weiteren erhaltenen Aussagen im Prozess deutet Ähnliches an. Ein weiteres Indiz für ein geplantes Vorgehen ist die Verwandtschaft zwischen einzelnen der Flüchtlinge untereinander und mit Hugues de Pairaud. Man kannte sich und war sich seiner Vertrauten sicher. Auch wenn Jean de Châlons sagt, Gérard de Villier habe 50 Pferde weggeführt, die Liste der Flüchtlinge aber davon spricht, er habe 40 Brüder bewaffnet, so ist zu erwarten, daß beides zusammengehört. Der Visitator rüstete offensichtlich eine bewaffnete Truppe aus, die zu Pferd mit unbekanntem Ziel verschwand. Dass sie sich tatsächlich einschifften, ist unwahrscheinlich, der Zeuge sagte selbst, dies nur gehört zu haben. Die achtzehn Galeeren wären zweifellos aufgefallen, eine solche Flotte war sicherlich aufsehenerregend. Zur Finanzierung des Vorhabens hatte Hugues de Pairaud seinen Schatz, vielleicht den Inhalt seines Bankguthabens im Temple von Paris, den Mitverschwörern überlassen, der an einen ebenfalls unbekannten Ort gebracht wurde.
Das Vorhaben scheiterte offensichtlich. Es ist zu erwarten, daß die Verschwörer vorhatten, den König noch vor der Vollstreckung des Haftbefehls zu ermorden, um diesem zuvorzukommen. Wahrscheinlich hätte der Tod des französischen Monarchen das Vorgehen gegen den Orden zu einem Ende gebracht. Nach der Verhaftung konnte der Anschlag nur noch wenig Sinn haben, denn dann wäre der Verdacht sofort auf die Templer gefallen. Unvorstellbar ist ein solcher Plan innerhalb des Ordens nicht. Immerhin waren sie auch schon im Heiligen Land in einen Mordanschlag verwickelt gewesen. Als sich die Verhandlungen des Königs von Jerusalem mit dem Alten vom Berge für den Orden ungünstig zu entwickeln drohten, tötete ein Templer den Gesandten der Assasinen. Diese Episode zeigt deutlich, daß die Templer bei der Lösung solcher Probleme nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel waren. Und wenn es um die Existenz des Ordens selbst ging, dann war sicherlich jedes Mittel recht. Allerdings ist bei dem vermuteten Mordkomplott gegen Philipp IV. zu bedenken, daß Hugues de Pairaud während des Prozesses eine ganze Reihe ungeheuerlicher Verbrechen angelastet wurden. Immer wieder wurde er von den Zeugen bezichtigt. Und so wäre es auch nicht völlig auszuschließen, daß die Notiz nur ein weiterer weit hergeholter, aber plausibel erscheinender Anklagepunkt sein sollte, um gegen den Visitator vorzugehen.



Literatur

Barber, Malcolm, The Trial of the Templars, Cambridge 1978
Demurger, Alain, Die Templer, München 1991
Dendl, Jörg, Die Templer und ihr Mythos (SeL, Bd. 3), Lahr 2007
Dupuy, Histoire de la Comdemnation des Templiers
Finke, H., Papsttum und Untergang des Templerordens, 2 Bde. (Bd. 1: Darstellung; Bd.2: Quellen), Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, IV, Münster 1907
Lavocat, M., Procès des frères de l´Ordre du Temple, Paris 1888
Lizerand, G., Le dossier de l´affaire des templiers (Les classiques de l´histoire de France au Moyen Age), Paris 1923 [ND 1964]
Michelet, J., Procès des templiers (collection des documents inédits de l´histoire de France), 2 Bde., Paris 1841-1851 [ND Paris 1987]
Prutz, Hans, Entwicklung und Untergang des Templherrenordens, Berlin 1888
Schottmüller, K., Der Untergang des Tempelherrenordens, 2 Bde., Berlin 1887 [ND Vaduz 1970]

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