Die Tempel des JHWH

Jüdische Heiligtümer außerhalb Jerusalems

von Jörg Dendl
Letztes Update: 24. September 2012

 
Nach einer im Judentum weitverbreiteten Tradition kann es nur einen Tempel Gottes geben, den in Jerusalem. Das Herzstück des israelitischen Glaubens seit Salomo, der Aufstellungsort der Bundeslade, des Unterpfands der Macht des Gottes JHWH, sollte einzigartig sein. In der gesamten Geschichte des alten Israel, wie sie in den Geschichtsbüchern der Bibel dokumentiert ist, wurde immer wieder versucht, den Anspruch der Einzigartigkeit dieses Tempels gegen alle anderen Einflüsse durchzusetzen. Oftmals ging es dabei darum, den JHWH-Kult zu erhalten, wenn fremde Kulte im Land überhandnahmen. Zahlreiche Könige von Juda ließen es aber immer wieder zu, dass sich ihr Volk andere Heiligtümer suchte als den Tempel von Jerusalem. Aber auch der Tempel des JHWH blieb nicht der einzige. War schon die Errichtung dieses Bauwerks eine Bemühung des Königs David, den JHWH-Kult zu zentralisieren, da es vor dem Bau wohl zumindest in den Städten Silo, wo lange Zeit die Bundeslade stand, und Gibeon zwei andere Orte der Anbetung des Gottes JHWH gegeben hatte, so konnte in späterer Zeit allerdings nicht verhindert werden, daß es zumindest in kleinem Rahmen weitere JHWH-Heiligtümer gab.

Bei der Trennung der Reiche Juda und Israel nach dem Tode Salomos äußerte sich diese Teilung nicht nur in den beiden konkurrierenden Königshäusern, sondern auch in der Bemühung im Reich Israel, einen eigenen Kult zu etablieren. König Jerobeam errichtete Sichem als seine Hauptstadt in der Nähe des Berges Garizim und begründete auch eigene Heiligtümer zur Verehrung des Gottes JHWH. Der Hintergrund dieser Tempelneugründungen war rein politisch: Jerobeam wollte dadurch verhindern, daß die Bevölkerung Israels weiterhin zum Tempel nach Jerusalem ziehen würde und somit das judäische Königtum stützen würde: "Wenn dies Volk hinaufgeht, um Opfer darzubringen im Hause des Herrn zu Jerusalem, so wird sich das Herz dieses Volkes wenden zu ihrem Herrn Rehabeam, dem König von Juda, ..." (1Kön 12,27). Er ließ zwei Tempel errichten, einen in Dan und einen in Bethel, in denen er goldene Stierbilder aufstellen ließ, die JHWH repräsentieren sollten. Zum Gottesdienst berief er eigene Priester, die nicht aus dem traditionellen jüdischenPriestergeschlecht der Leviten stammten.

Aber die israelitischen JHWH-Tempel von Dan und Bethel blieben nicht die einzigen Heiligtümer des JHWH außerhalb Jerusalems. Etwa ein Jahrhundert nach dem Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. im Jahr 587 v.Chr. existierte ein solcher Tempel in Ägypten, auf der Nilinsel Elephantine. Dieser Tempel konnte bei den umfangreichen Grabungen auf dieser Insel bis heute nicht identifiziert werden. Die einzige Spur, die auf die Existenz dieses Tempels hinweist, sind aramäisch geschriebene Briefe aus der Zeit von 494 v.Chr. bis 399 v.Chr., die sich an diesem Ort fanden. Darin sprechen die auf Elephantine ansässigen Juden von ihrem Tempel, von seiner Ausstattung und von ihrer Verzweiflung, als dieser zerstört wurde. Der Tempel selbst war demnach aus Quadersteinen errichtet und verfügte über Türen aus Zedernholz. Eine erste Zerstörung durch ägyptische Priester wird auf das Jahr 410 v.Chr. datiert. Endgültig zerstört wurde dieser Tempel wohl im Jahr 399 v.Chr. Es ist anzunehmen, dass dieser Tempel unter dem Eindruck der völligen Verwüstung Jerusalems entstand. Die in Elephantine lebenden jüdischen Söldner, die in persischen Diensten standen, sind möglicherweise die Nachkommen von Flüchtlingen, die nach der Zerstörung Jerusalems nach Ägypten flohen und dort ansässig wurden. Ein Hinweis auf solche Flüchtlinge findet sich im Buch des Propheten Jeremia. Der Prophet mußte seinen Landsleuten folgen, die nach der Katastrophe von 587 v.Chr. nach Ägypten flohen (Jer 43, 1-7). Obwohl sich in der Bibel keinerlei Hinweis auf die Errichtung eines Tempels in Ägypten findet, so ist doch zu vermuten, daß der Tempel von Elephantine auf diese Gruppe von Juden zurückgeht, die sich eine neue Heimstatt suchten.

Doch auch der Tempel von Elephantine blieb nicht der letzte JHWH-Tempel. Um das Jahr 332 v.Chr. ergab sich innerhalb der Jerusalemer Priesterschaft ein folgenschwerer Streit, der letztendlich zur Gründung eines zweiten Tempels führte. Manasses, der Bruder des zu dieser Zeit amtierenden Hohepriesters Jaddus, hatte sich mit einer Nichtjüdin vermählt, was in den Kreisen der Priesterschaft zu Widerstand führte, da diese Verheiratung gegen die strengen jüdischen Ehegesetze verstieß. Die Priester verlangten, Manasses solle sich entweder von seiner Frau trennen, oder aber nie mehr an den Altar treten dürfen. Es bestand die Befürchtung, auch andere würden sich nichtjüdische Frauen nehmen, wenn Manasses eine solche Ehe erlaubt würde. Die Frau des Manasses war die Tochter des persischen Statthalters Sanballetes, an den sich Manasses in seiner schwierigen Lage um Hilfe wandte. "Darauf versprach ihm Sanballetes, er werde, wenn Manasses seine Tochter als Gattin behalten wolle, ihm nicht nur die Priesterwürde sichern, sondern ihn auch zum Hohepriester und Präfekten des von ihm selbst verwalteten Landes machen. Ferner werde er auf dem Berge Garizin, dem höchsten in Samaria, einen Tempel erbauen, der dem zu Jerusalem gleich sein solle, und zwar mit Zustimmung des Königs Darius." (Flavius Josephus, JA 11,8, 2). Zu dieser Zeit drang Alexander der Große mit seinem Heer in das Perserreich ein und Sanballetes fiel von König Darius ab, um sich Alexander zu unterwerfen. Als er sich am Hof des makedonischen Königs gut aufgenommen sah, trug er seine Bitte Alexander vor: "Da nun der König ihn gnädig aufnahm, faßte Sanballetes Mut und sprach von seinem eigentlichen Vorhaben, indem er berichtete, er habe einen Schwiegersohn Manasses, den Bruder des jüdischen Hohepriesters Jaddus, und es befänden sich bei ihm noch viele Juden, die gern in seiner Provinz einen Tempel bauen möchten. [...] Als Alexander darauf seine Einwilligung gab, baute Sanballetes den Tempel in aller Eile, setzte Manasses als Priester ein und glaubte dadurch den Kindern seiner Tochter eine besondere Ehre verschafft zu haben." (Flavius Josephus, JA, 11, 8,4).

Der auf diese Weise neu gegründete Tempel "... aber blieb bestehen, und wenn nun zu Jerusalem jemand des Genußes verbotener Speise, der Entheiligung des Sabbats oder eines anderen Vergehens angeklagt war, floh er zu den Sikimitern und behauptete dort, ungerecht beschuldigt zu sein." (Flavius Josephus, JA, 11, 7). Im Jahr 1994 rückte dieser Tempel in das Licht der Öffentlichkeit. Nach einer hundertjährigen Suche waren sich israelische Archäologen unter der Leitung von Jizhak Magen nunmehr sicher, die Reste des Bauwerks auf dem Berg Garizim lokalisiert und identifiziert zu haben. Es wurde eine althebräische Inschrift gefunden, die die Überreste als einen Tempel ausweist: "Ich bin der Herr Euer Gott ... dies ist mein Haus.". Des weiteren wurden goldene Kultgegenstände gefunden. Im Zusammenhang mit den Nachrichten über diese Grabung wurde die Behauptung aufgestellt, dieses Heiligtum wäre eine genaue Kopie des Salomonischen Tempels. Davon ist allerdings in den Quellen keine Rede.

Zur Zeit des Diadochenherrschers Antiochos Eupator (164-162 v.Chr.) wurde in der ägyptischen Stadt Heliopolis (heute 12 km nö von Kairo) ein weiterer JHWH-Tempel errichtet. Wieder kam es zu dieser Tempelgründung aufgrund der politischen Umstände. Nach der Hinrichtung des Hohepriesters Menelaos wurde die Hohepriesterwürde nicht auf dessen Neffen Onias, der darauf ein Anrecht gehabt hätte, sondern auf Alkimus, der nicht aus dem Geschlecht der Hohepriester stammte, übertragen. Der übergangene Onias floh daraufhin nach Ägypten, wo er von dem dort herrschenden König Ptolemaios ein Grundstück in Heliopolis erhielt, auf dem er seinen eigenen Tempel errichtete, an dem er Hohepriester sein konnte. Dieser Tempel wurde zwar nach dem Vorbild des Tempels von Jerusalem (Flavius Josephus, JA 12,9,7; 13,3,1) errichtet, "... jedoch kleiner und ärmlicher." (Flavius Josephus, JA, 13,3,3). Dieser Tempel konnte allerdings bis heute nicht gefunden werden.

Die hier beschriebenen "Tochtergründungen" konnten nie in wirkliche Konkurrenz mit dem Tempel von Jerusalem treten, waren sie doch zu offensichtlich aus politischen und persönlichen Gründen errichtet worden. Dazu kam mit Sicherheit noch der große Einfluß der heiligen Schriften auf die Masse der gläubigen Juden, für die es nur den Tempel in Jerusalem als Zentrum des Kultes geben konnte. Nur weitgehend die wenigen Anhänger der abgefallenen Hohepriester Manasses und Onias werden die von ihnen begründeten Tempel unterstützt haben, was ihnen keine lange Existenz beschied.


Literatur:

Bardtke, Hans, Bibel, Spaten und Geschichte, Leipzig: Koehler & Amelang 1969

Cornfeld, G./Botterweck, G.J., Elephantine, in:Die Bibel und ihre Welt, Bd. I, Herrsching: Pawlak 1991, S. 55

Flavius Josephus, Jüdische Altertümer (=JA), Wiesbaden: Fourier 61984

Rehork, Joachim, Archäologie und biblisches Leben, Bergisch Gladbach: Lübbe 1972

Volz, Paul, Die biblischen Altertümer, Wiesbaden: Fourier 1991

Kopie des Salomonischen Tempels entdeckt?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.9.1994

 

 
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